Anhörung im Digitalausschuss "Arbeitsbedingungen in der Content Moderation"

Am 14.06.2023 fand im Ausschuss für Digitales des Deutschen Bundestags ein Fachgespräch zu den Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen statt. Zum ersten Mal wurden Content-Moderator*innen von Mitgliedern des Deutschen Bundestags zu ihren Arbeitsbedingungen gehört.

Neben den Moderatoren Cengiz Haksöz und Daniel Motaung war Julia Kloiber von SUPERRR Lab als Expertin geladen. SUPERRR Lab war neben Foxglove Legal, Aspiration und der Gewerkschaft ver.di einer der Organisatoren des Content Moderators Summit. Das Fachgespräch kann in der Mediathek des Bundestages nachgeschaut werden.

Es folgt das Statement von Julia Kloiber:

"Content-Moderatoren sind die Putzkräfte unserer Demokratie. Ohne ihre Arbeit wären die Social-Media-Netzwerke voll von Gewalt, Hass und Hetze. Sie sind es, die uns schützen – sie schauen sich diese Inhalte an, damit wir sie nicht sehen müssen. Ohne ihre Arbeit gäbe es keine Social-Media-Plattformen.

Ich zitiere eine Content-Moderatorin: “Wir Moderatoren sind wie Minenarbeiter, die gefährliche Arbeiten ohne Sicherheitsausrüstung durchführen. Es ist so, als würde man uns wissentlich in einen Minenschacht schicken, der einsturzgefährdet ist.” Sie haben sie outgesourct an Dritte, damit ihr Image sauber bleibt. Mehrere hundert Beiträge am Tag mit teils extremster Gewalt – mit Kindesmissbrauch, mit Hinrichtungen – anzusehen, hinterlässt Schäden. Lebenslange Schäden. Die Unterstützung, die die Moderatorinnen von ihren Arbeitgebern bekommen, nennt sich Well-Being-Counceling. Es ist eine reine Alibiveranstaltung, keine fundierte psychologische Betreuung.

Wenn die Moderatoren psychisch so am Ende sind, dass sie nicht mehr arbeiten können, dann springt unser Gesundheitssystem ein. Die Unternehmen externalisieren die Schäden, die sie verursachen.

Anfang des Jahres saß ich mit 50 Content-Moderatorinnen in einem Raum bei ver.di. Sie waren teils so eingeschüchtert, über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen, dass ver.di sie erst darüber aufklären musste, dass es ihr Recht ist, sich zu organisieren. Die Unternehmen kultivieren eine Kultur der Angst und Geheimhaltung. Die Situation von Menschen, deren Aufenthaltsgenehmigung an dem Job hängt, wird ausgenutzt.

Stellen Sie sich vor, Sie schauen sich die ersten 15 Sekunden und die letzten 15 Sekunden eines Videos an und müssen eine fundierte Einschätzung darüber treffen, ob ein Video den Policies der Plattform entsprich oder nicht. Stellen Sie sich vor, Sie machen das bis zu 3000 Mal am Tag.

Für die Moderatorinnen ist dies Arbeitsrealität. Die Ziele, die sie erreichen müssen, sind so hochgesteckt, dass Qualität und Mensch darunter leiden. Es ist Sisyphusarbeit: kaum hat man ein Video gelöscht, kommen hundert weitere nach. Sisyphusarbeit ohne Wertschätzung, für 14,40€ die Stunde.

Sie fragen sich nun, was kann dieser Ausschuss tun?

  • Erstens: Es braucht mehr Informationen, um das System Content Moderation und die gesellschaftlichen Auswirkungen zu verstehen. Wir empfehlen der Bundesregierung eine fundierte empirische Studie in Auftrag zu geben.
  • Zweitens: Wir empfehlen, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass bei der Durch- und Umsetzung des DSA die Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen deutlich verbessert werden. Insbesondere die für Online-Plattformen verpflichtende Risikobewertung und -minderung bieten hierfür großes Potenzial.
  • Drittens: Wir regen einen Austausch mit den Gremien des Bundestages an, die sich mit den Themen Arbeit und Soziales beschäftigen. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Thema Content Moderation in all seinen Herausforderungen und Facetten behandelt wird. Wir stehen mit unserer Expertise jederzeit zur Verfügung.
  • Es braucht viel Courage, um mit der Kultur der Geheimhaltung zu brechen. Ich übergebe an jemanden, der diese Courage hat: Cengiz Haksöz."