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Von Luftschlössern, Ponyhöfen und Utopien – Zukünftearbeit als politische Praxis

Von Luftschlössern, Ponyhöfen und Utopien – Zukünftearbeit als politische Praxis

Findings und Learnings aus Futures Literacy for Civil Society

Leben wir wirklich auf Ponyhöfen, bauen Luftschlösser und träumen von unerreichbaren Utopien? Wenn ich darüber spreche, dass wir bei SUPERRR digitalpolitische Themen gesamtgesellschaftlich kontextualisieren, mit dem Ziel, gerechtere und vielfältigere Zukunftsvisionen zu gestalten, tun viele Menschen das als feministisches Ladida und Wunschdenken ab.

Warum eigentlich? Warum sind wir so viel lieber bereit dazu, vielzitierten Gemeinplätzen Glauben zu schenken und aktuelle Zustände zu unverrückbaren Tatsachen zu erklären? Und das, obwohl wir doch tagtäglich sehen und erleben, dass unsere altbekannten Denkweisen und Ansätzen nicht greifen – Sie weder wirkliche Lösungen für die viel beschworenen Polykrisen bereithalten noch auf Zukünfte hinwirken, die Sicherheit, Gerechtigkeit und Sorge für und um alle Menschen, unsere Umwelt, unser Ökosystem priorisieren.

Die Erzählungen, die wir als Gesellschaft haben, bestimmen, wie wir auf die Welt blicken, was und wie wir denken und uns vorstellen (können). Umgekehrt bestimmt unser Denk- und Vorstellungskraft diese Erzählungen – und manifestiert damit auch unsere Realitäten. Statt mutige Visionen zu entwerfen, sehen wir gerade vor allem Erzählungen, die den Status-quo befeuern, und damit Ungerechtigkeiten, Machtverhältnisse, Rassismus, Ausbeutung, you name it, als vermeintlich unausweichliche Kontinuitäten festschreiben. Das hat System und schränkt uns nicht nur in unseren Handlungsmöglichkeiten ein, sondern ist auch eine famose Legitimationsstrategie, um uns aus der Verantwortung zu ziehen. Denn wenn das Leben eh nicht fair, kein Ponyhof und sowieso kein Wunschkonzert ist, warum dann die Kraft aufbringen, gegen Ungerechtigkeiten aufzubegehren? Wenn jeder sich selbst am nächsten und seines Glückes Schmieds ist, befeuern wir die kapitalistische Maschinerie, Gewinn- und Leistungslogiken, aber keine Fürsorge und Achtsamkeit, die kritisches Innehalten oder Ausbrechen möglich macht. Spätestens hier wird hoffentlich deutlich, dass die Erzählungen, Schlagzeilen und so genannten (Mega)trends, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, keinesfalls neutral, sondern von vielfältigen Interessen geleitet sind.

Was bedeutet das nun für unsere Zukünftearbeit bei SUPERRR? In unserem Pilotprogramm Futures Literacy for Civil Society haben wir mit 12 zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet, um Zukünftekompetenz aufzubauen und alternative und wünschenswerte Visionen zu entwickeln, auf die wir strategisch hinarbeiten können.

Dabei ging es erstmal darum, sichtbar zu machen, dass dominante Erzählungen nicht einfach da sind, sondern Interessen verfolgen, bestimmte Werte und Normen, Perspektiven und Positioniertheiten im Blick haben, und andere außen vor lassen. Denn das bedeutet auch: Sie sind veränderbar und gestaltbar! Es gibt viele Zukünftemethoden, die eine machtkritische und intersektionale Analyse von Narrativen unterstützen. Zum Beispiel die Causal Layered Analysis Methode vom Wissenschaftler und Futurist Sohail Inayatullah, die es ermöglicht, implizite Bedeutungsebenen einer Erzählung aufzudröseln, um Alternativen zu entwickeln. Oder die Critiquing Futures Methode, entwickelt von meinem Kollegen Quincey Stumptner und Feven Keleta, die durch ihre fragende Grundhaltung ein Bewusstsein für Leerstellen und Voreingenommenheiten ermöglicht. Was für Machtverhältnisse finden sich in diesen Zukunftsszenarien? Welche ausgesprochenen und unausgesprochenen Annahmen und Werte gibt es? Für und mit welchen Menschen und Personengruppen?

Es ist zutiefst politisch, wer über Zukünfte nachdenkt, sie imaginiert, ersehnt, plant und erschafft. Und: Wer überhaupt die Zeit, Ressourcen, Lebensbedingungen hat, Zukünftearbeit zu leisten. Eine Herausforderung, die wir auch in unserem Programm deutlich gespürt haben. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind oft nicht nur mit aktuellen Missständen und Schadensbegrenzung beschäftigt, sondern stecken auch in einem Limbus von Fundraising und politischem Rechtfertigungsdruck, im schlimmsten Fall Anfeindungen. Das betrifft in besonderem Maße Organisationen, die von marginalisierten Personen und Communities geleitet werden und/oder sich für die Rechte dieser einsetzen. Die strukturellen Hürden, systemischen Benachteiligungen und Vielfachbelastungen können wir nur sehr begrenzt abfangen. Versucht haben wir es trotzdem: Indem wir z.B. ehrenamtliche Teilnehmer*innen für ihre Zeit kompensieren; möglichst konkret auf die Bedarfe und Fragestellungen der Teilnehmer*innen eingehen; einen möglichst sicheren Raum für alle Teilnehmer*innen herstellen; und auch jetzt, nach Ende des Programms, versuchen, die Teilnehmer*innen so gut wie möglich weiter zu begleiten.

Das ist leider viel weniger Ponyhof als ich mir das wünschen würde. Denn für eine nachhaltige Implementierung und Begleitung der strategischen und methodischen Zukünftearbeit in den Organisationen, braucht es mehr Ressourcen als es derzeit der Fall ist. Ich bin dankbar für das Engagement der Teilnehmer*innen, die Denkanstöße, den Wissensaustausch, das Präsent-Sein im Raum – allen Widrigkeiten zu Trotz. Doch wenn Inklusion und Diversität mehr sein sollen als Buzzwords braucht es andere Rahmenbedingungen und strukturelle Unterstützung, die diese Art der Arbeit, insbesondere von marginalisierten Communities, explizit fördert. Das bedeutet konkret: Mehr Geld, langfristige Planbarkeit für die Organisation und ihre Mitarbeiter*innen, weniger Arbeitsbelastung, Sicherheit und Anerkennung, uvm., damit diese Räume der Wissensvermittlung und der gemeinsamen politischen Arbeit Wirklichkeit werden können. Wenn wir wirklich an gerechteren Zukünften bauen wollen, brauchen wir vielfältige Perspektiven, Ideen und Visionen und Räume, in denen eine Verkörperung dieser Zukünfte bereits stattfinden kann – im Hier und Jetzt.

Zukünftearbeit braucht Zeit. Und so fühlt es sich nach den drei gemeinsamen Traininingssessions so an, als wären wir gerade erst so richtig gestartet. Der Zukünftemuskel ist zwar einmal durchtrainiert, wir haben unterschiedliche Methoden erprobt, unsere Imaginationskraft gestärkt und gemeinschaftliche Szenarien entworfen, aber für eine nachhaltige Einbindung braucht es eine regelmäßige und kontinuierliche Praxis. Monatliche Imaginationsmeditationen, regelmäßige Meet-ups, in denen die Teilnehmer*innen die Themen und Cases aus ihrer täglichen Arbeit mitbringen, oder ein Zukünfteretreat? Wir haben noch keine finale Antwort, entscheiden Schritt für Schritt und im Austausch mit den Teilnehmer*innen, wie die weitere Entwicklung und Zusammenarbeit aussehen könnte.

Viele der Organisationen planen oder sind sogar schon dabei, Zukünftemethoden für ihre strategische Arbeit zu nutzen, Gedankenanstöße und Ideen werde in Arbeitsteams, ehrenamtlichen Kollektiven und in privaten Kontexten diskutiert und die ersten Projektanträge mit einem Schwerpunkt auf Zukünfteprozessen sind bereits auf dem Weg. Was sich abzeichnet, sind erste Versuchungsanordnungen, erste Schritte Richtung wünschenswerte Zukünfte.

Schadensbegrenzung und Symptombekämpfung verspricht keine Heilung. Vielleicht also Zeit, an diesen Luftschlössern zu bauen?