Walking the Talk

Vom Mangel zum Überfluss

Über die feministische Praxis, das Glas als halb voll zu betrachten.

"Kannst du von deinem Job leben?" Diese Frage bekomme ich des öfteren gestellt. Gemeinnützige Arbeit und gute Bezahlung scheint für viele ein Widerspruch zu sein.

Wenn ich mit "ziemlich gut sogar" antworte – ernte ich interessierte Blicke. Wie kann das sein?

Ich co-leite eine feministische Organisation. Schon vor der Gründung war klar, dass wir Dinge anders angehen wollen. Dazu gehört auch gute Bezahlung.

Vor Jahren habe ich auf einer feministischen Konferenz den Begriff "Abundance Mindset" gehört. Es ging darum, dass wir als feministische Organisationen oft in einer Mentalität der knappen Ressourcen feststecken und das wir uns von dieser Mentalität geleitet einschränken lassen. Das Knappheitsdenken geht davon aus, dass, wenn eine Person gewinnt, eine andere verliert. Daraus ergibt sich Konkurrenzdenken, Neid und Ausbeutung – alles Dinge, die im Gegensatz zu unseren Werten und zu unserer Arbeit stehen. Warum also nicht ein Abundance Mindset – ein Überflussdenken – an den Tag legen? Eine solche Haltung geht davon aus, dass es genug für alle gibt: Optionen, Wahlmöglichkeiten und Ressourcen. Konkurrenzdenken wird ersetzt durch das Denken in kollektiven Möglichkeiten. Das schlägt sich auch darin wieder, wie wir arbeiten.

Als feministische Organisation versuchen wir die Veränderungen im Kleinen, in unserem Alltag zu leben, die wir im großen sehen wollen. Dazu gehören Werte wie: Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Fürsorge. Natürlich gelingt uns das nicht in allen Bereichen und jeden Tag. Nicht immer werden wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht. In einer Reihe an Blogposts wollen wir euch Einblicke in unsere Ansätze geben und auch offen erzählen, was nicht so gut klappt.



Was bedeutet ein Abundance Mindset in der Praxis?

Gute Bezahlung

ist uns nicht nur teamintern wichtig, sie ist uns auch wichtig, wenn wir mit Externen zusammenarbeiten. Und das fängt bei Servicedienstleistern an, beim Catering für Veranstaltungen zum Beispiel. Wir haben von Anfang an mit Dienstleistern zusammengearbeitet, die ihren Angestellten gute Arbeitsbedingungen bieten, die nach Tarifverträgen bezahlen und auf Nachhaltigkeit setzen. Besonders in Sektoren, in denen die Löhne niedrig und Ausbeutung an der Tagesordnung ist. Das ist nicht günstig und das soll es auch nicht sein. Wenn wir es uns nicht leisten können, Veranstaltungen unter guten Bedingungen für alle durchzuführen, dann führen wir sie lieber gar nicht durch. Ein Abundance Mindset bedeutet, sein Umfeld in seinem Tun mitzudenken und ein Win-Win für alle zu kreieren.

Sharing is Caring

Wir sind ein kleines Team, bestehend aus elf Personen. Unser Ziel ist und war es nie stark zu wachsen, sondern stattdessen auf Kollaborationen mit anderen Organisationen zu setzen. Damit können wir Ressourcen teilen und viel mehr unterschiedliche Perspektiven in die Arbeit miteinbeziehen. Wachstum wird oft als Gradmesser für Erfolg betrachtet, das sehen wir anders. Für uns sind der Gradmesser erfolgreiche Kollaborationen, in denen man gemeinsam mit anderen etwas bewegt. Solche Konstellationen sind nachhaltiger und resilienter, als wenn eine Organisation versucht, alles alleine zu stemmen. Ein Abundance Mindset im Bereich von Kollaborationen ist es, die eigenen Ressourcen mit anderen zu teilen, gemeinsame Anträge zu schreiben und Kontakte zu den eigenen Förderern herzustellen.

Organisationsentwicklung statt Selbstdarstellung auf Social Media


Ein großer Teil unserer Arbeit ist nach außen hin nicht sichtbar. Wir stecken seit der Gründung von SUPERRR viele Ressourcen in die Entwicklung unserer Organisation. Das Team entwickelt in gemeinsamen Sessions, wie wir gut zusammenarbeiten können, welche Strukturen es für Weiterentwicklung und Wachstum braucht und wie wir entstehende Konflikte gemeinsam aus der Welt schaffen. Die Organisationsentwicklung ist für uns essenzieller Teil unserer feministischen Arbeit, sie bereitet den Boden für unsere Zusammenarbeit und ermöglicht es uns, unsere Werte mit Leben zu füllen. In einer Welt, in der Sichtbarkeit, Selbstdarstellung und Likes großen Wert beigemessen wird kein einfacher Task, sich zurückzunehmen und auf die inneren Strukturen zu fokussieren. Ein Abundance Mindset bedeutet für uns: uns die nötigen Ressourcen und die Zeit zu nehmen, die wir brauchen, um eine gesunde Organisation zu bauen. Diese Arbeit ist langfristig angelegt ein wichtiger Schwerpunkt unserer Organisation, auch wenn für uns keine öffentlichen Klicks und Likes einbringt.

Keine kostenlose Arbeit

Wenn wir von externen für Vorträge oder Workshops angefragt werden und nach Honoraren fragen, dann bekommen wir häufig die Antwort, dass keine Honorare vorgesehen sind. Es wird erwartet, dass Menschen für umsonst arbeiten. Gerade im gemeinnützigen Sektor geht man davon aus, dass man für den Dienst an der guten Sache keine Entlohnung braucht. Wenn uns als SUPERRR etwas aufregt, dann versuchen wir die Veränderung bei uns selbst anzusetzen. Wenn wir Menschen für Beiträge oder Vorträge anfragen, dann selbstverständlich mit Vergütung. Viele Menschen können es sich schlicht nicht leisten, ihre Arbeitszeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wer auf kostenlose Arbeit setzt, der erreicht damit nur die Privilegierten, die sich so was leisten können. Ein Abundance Mindset bedeutet, Arbeit gut und gerecht zu entlohnen, selbst dann, wenn das Geld knapp ist.

Nobodys Prefect

Natürlich gibt es auch einige Baustellen und Verbesserungspotenzial. Wir sind auf der Suche nach einem Reinigungsdienstleister, der gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne bietet, würden gerne eine organisationsweite vier Tage Woche einführen, damit die Balance zwischen Freizeit und Lohnarbeit besser wird und – last but not least – wir würden als Organisation gerne CO2 neutral werden.

Trotz Abundance Mindset stoßen wir immer wieder auf systemische Hürden, an denen wir kurzfristig nicht viel ändern können. Wir hadern auch damit, inwiefern das Glas halb voll zu sehen ein Privileg ist, dass wir als Organisation haben – aber das vielen Menschen in unserer Gesellschaft nicht zum Teil wird.

Dieser Post hat euch gefallen? In den nächsten Wochen und Monaten, werden wir unter dem Titel „Walking The Talk“ eine Reihe an weiteren Einblicken in unsere organisationsinterne Arbeit, Struktur und unser Denken geben.