Eine feministische Organisation zu sein: für uns bei SUPERRR bedeutet das, dass wir ständig hinterfragen, was wir tun und – was vielleicht noch wichtiger ist – wie wir es tun. Wie wir in unseren Policy Building Blocks beschrieben haben, gibt es keine Checkliste, um zu beurteilen, ob etwas feministisch ist oder nicht; und feministische Politik ist „unbequem, weil sie keine einfachen Lösungen anbietet, und sie ist ehrlich, weil sie aktiv auf Lücken hinweist.“
Dasselbe gilt auch für feministische Organisationen, denke ich. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist genauso wichtig wie das, was wir tun. Obwohl wir viel mehr Zeit damit verbringen, darüber zu sprechen, was wir tun, wollen wir in der Blogpostserie „Walking the Talk“ ein wenig mehr darüber berichten, wie wir intern über Verantwortung und Rechenschaft nachdenken.
Diese Diskussion erscheint im deutschen Kontext besonders wichtig angesichts dessen, was wir in den letzten Wochen bei verschiedenen Organisationen mit feministischem Label in Zivilgesellschaft und Politik beobachtet haben. Es gibt keine perfekte Feminist:in, geschweige denn eine perfekte feministische Institution – und Fehler sind unvermeidlich. Was wir aber beeinflussen können, ist die Art und Weise, wie wir – als Feminist:innen, als Führungspersonen, als Menschen – auf diese Fehler reagieren und wie wir Raum schaffen, um uns diese Fehler einzugestehen und uns selbst und andere sorgsam zur Verantwortung zu ziehen.
Intern haben wir bei SUPERRR eine Kollegin, die unsere „Ethik-Beauftragte“ ist. Sie gehört nicht zum Führungsteam von SUPERRR, spielt aber im Team eine wichtige Rolle. Sie ist eine eine Art moralischer Kompass für das Team und hat ein offenes Ohr für Probleme, die Menschen bei SUPERRR haben. Zudem braucht jede arbeitgebende Organisation im deutschen Kontext eine*n Antidiskriminierungs-Beauftragte*n, unabhängig von der Größe oder Positionierung der Organisation.
Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass die Arbeitsweise von SUPERRR vielleicht nicht für jeden geeignet ist. Wir lassen uns von Dokumenten wie diesem von Chayn inspirieren, in dem detailliert beschrieben wird, „wie es ist, bei Chayn zu arbeiten“. Darin wird klar umrissen, was ihre Werte bedeuten und (was vielleicht noch wichtiger ist) was sie nicht bedeuten, und zwar im Kontext einer kleinen gemeinnützigen Organisation, die Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützt. Es gibt Grenzen für das, was wir anbieten können und was nicht, und was das für die Menschen bedeutet – und das überschneidet sich natürlich mit den Grenzen dessen, wofür wir (genauer gesagt, unsere Führungsebene) zur Rechenschaft gezogen werden können. Es gibt immer etwas zu verbessern, aber es ist auch wichtig, die Grenzen dessen transparent zu machen, was wir ändern können und was nicht.
Als Organisation, die von zwei weißen europäischen Frauen gegründet wurde, gibt es natürlich gelebte Erfahrungen, die nicht in die Funktionsweise der Organisation einfließen. Das zeigt sich auf alle möglichen Arten, und deshalb denken wir intensiv darüber nach. Julia und Elisa, die Gründerinnen, haben von Anfang an mit Coaches für Organisationsentwicklung zusammengearbeitet, um einige dieser Probleme zu durchdenken. Wir haben außerdem mit Retrospektiven begonnen, um schwierige Momente in unserer Organisation zu besprechen, und All-Hands-Treffen mit externer Begleitung, in denen wir Raum schaffen, um darüber zu sprechen, wie wir uns alle fühlen und wie wir es erleben, Teil des SUPERRR-Teams zu sein.
Wir haben in Teamworkshops darüber gesprochen, was intersektionaler Feminismus für uns bedeutet. Jede von uns bringt eine andere Sozialisation und ein anderes Verständnis von feministischer Praxis mit, und diese – zusammen mit unseren eigenen Lebenserfahrungen – beeinflussen, wie wir uns in der Welt bewegen, wie wir miteinander umgehen, wie wir gemeinsam eine Organisation aufbauen und was wir uns davon versprechen. Gibt es angesichts der Strukturen, in denen wir agieren, Grenzen für unser Handeln als intersektionale feministische Organisation? Was bedeutet das für die Art und Weise, wie wir uns selbst und unsere Identität beschreiben?
Es überrascht vielleicht nicht, dass es immer schwierige Momente und ruhigere Zeiten gibt, und die politische Situation, in der wir uns alle bewegen, macht die Dinge für einige noch schwieriger. Wir sind uns bewusst, dass manche Mitglieder des Teams mit Unterdrückung konfrontiert sind, während andere dies nicht sind – und Regeln in Organisationen berücksichtigen oft nicht die individuellen Bedürfnisse innerhalb dieser größeren Unterdrückungssysteme. Um darauf zu reagieren, lassen wir uns von Communitys wie RadHR inspirieren, die radikale, anti-oppressive Ansätze für Personalwesen und Organisationen schaffen. Zum Beispiel: Verstehen, dass verschiedene Teammitglieder individuelle Bedürfnisse haben und mit anderen Problemen konfrontiert sind als andere, und Überlegen, wie wir als Organisation Raum für diese individuellen Bedürfnisse schaffen können, um sie anzuerkennen und anzugehen.
Eine der schwierigsten internen Diskussionen, die wir geführt haben, war die Frage, ob und wie wir uns zu den Geschehnissen in Palästina äußern sollten, sowie zu dem Diskurs und dem Schweigen rund um das Thema Israel/Palästina in Deutschland im Besonderen; und wie wir dies auf eine Weise tun können, die unseren Werten treu bleibt und gleichzeitig einen sinnvollen Beitrag leistet.
Wir teilen das alles aus zwei Gründen: Erstens, um anzuerkennen, dass die Bezeichnung „feministisch“ für eine zivilgesellschaftliche Organisation bedeutet, feministische Werte auf das anzuwenden, was man tut, aber auch darauf, wie man es tut. Es bedeutet, Fehler einzugestehen und sich Unvollkommenheit einzugestehen, und (im besten Fall) bereit zu sein, mit diesen Fehlern im Sinne von Calling-In konfrontiert zu werden, sich dieses Feedback anzuhören (so schwer es auch zu hören sein mag) und das Gespräch fortzuführen, auch wenn es unangenehm ist. Und zweitens wollen wir unsere tiefe Solidarität mit Angestellten und ehemaligen Mitarbeitenden von feministischen Organisationen zum Ausdruck bringen, die diesen Werten nicht gerecht geworden sind und sich deshalb in einer schwierigen Situation befinden.
Um es klar zu sagen: Wir machen die Dinge keineswegs perfekt – tatsächlich machen wir die Dinge definitiv nicht perfekt. Was wir jedoch tun, ist, unser Bestes zu geben und offen für Feedback aller Art zu sein. Wenn es da draußen andere feministische Organisationen gibt, die darüber nachdenken wollen, wie sie intersektionale feministische Werte in ihrer Arbeit leben, dann lasst uns gerne reden.